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Jesus vs. Dorian Gray

ikoneVor ein paar Jahren waren Alex und ich in Düsseldorf. Wir haben bei Zweitausendeins eine Gesamtausgabe der Werke Oscar Wildes erstanden, der zufällig an diesem Tag Geburtstag gehabt hätte, und setzten uns nach einem ausgiebigen Spaziergang in ein Restaurant mit Strassentischen in der Schneider Wibbel Gasse. Wir haben da gesessen, gegessen, Kaffee getrunken und Wilde gelesen bis es zu kalt wurde. Ein schöner Tag, an dem ich “Lord Arthur Saviles Verbrechen” gelesen habe.
Das ist meine eindrucksvollste Begegnung mit Wilde gewesen. Nachher gab es noch viele andere: Ein Hörspiel über seinen Prozess, das ich auf dem Weg zu einer Predigt im Hessischen Rundfunk gehört habe; zwei seiner Märchen, die Alex in einem Weihnachtsgottesdienst vorgelesen hat; ein genialer Film über ihn mit Stephen Frye ( ich hoffe, er schreibt sich so ) in der Hauptrolle; weitere Bücher.
Ein absolut brillianter Schriftsteller.

Seine bekannteste Figur (neben dem unglücklichen Gespenst) dürfte Dorian Gray sein, ein Mann dessen Portrait altert, während er selbst von seinem ausschweifenden Leben nicht gezeichnet wird. Der traum eines jeden Menschen: Sünde ohne Reue, ein wildes Leben, das keine Spuren hinterlässt. Die Geschichte kann nicht gut ausgehen und Dorian wird irgendwann mit seinem Portrait (=mit sich selbst) konfrontiert und das ist sein Ende.
Ich musste in den vergangenen Tagen immer wieder an die Geschichte denken, habe sogar kurz erwogen, sie mal wieder zu lesen, weil mir einige Einzelheiten im Lauf der Jahre verlorengegangen sind.
Ich denke, dass viele Christen sich Jesus gerne wie Dorian Grays Bild vorstellen. Jemand, der alle ihre Sünden (und je nach Erkenntnis und theologischem Bekenntnis auch jede ihrer Krankheiten) getragen hat. Jemand, der aus allem helfen kann und dennoch keine Veränderung verlangt. Viele von uns hören in ihrer geistlichen Entwicklung an dem Punkt auf an dem sie erkannt haben, dass “Gott mich so liebt wie ich bin”. Sie leben weiter ihr Leben, das relativ ungeprägt ist von göttlichen Maßstäben und Wahrheiten und verlassen sich darauf, dass ihr Portrait altert. Wenn sie dann einmal krank oder unglücklich werden, nicht selten als Resultat eines (geistlich) ungesunden Lebens, beten sie und sind oft noch enttäuscht von Gott, wenn nicht eintrifft, wofür sie beten. Es ist seltsam, wie oft wir denken, dass wir Gottes ganzen Segen und seine ganze Kraft erleben könnten, ohne selbst verändert zu werden…

Ehrlich gesagt, ist es mir ähnlich gegangen. Als ich vor einiger Zeit (14 Monate…) anfing, intensiver für Gottes Wirken im übernatürlichen Bereich zu beten dachte ich, dass einfach eine “Ausgiessung” von Kraft oder so was fehlen würde. Genau kann ich das nicht sagen, da stand keine besonders dezidierte Theologie dahinter, nur das ziemlich sichere Gefühl, dass ich, so wie ich bin und glaube, in Ordnung bin und nur Gott seinen Teil nicht gemacht hat. Weit gefehlt! Heute kann ich über diese Annahme nur noch lächeln. Je mehr ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, umso mehr habe ich über mich selbst gelernt, über mein Misstrauen Gott gegenüber, über mein mangelhaftes Verständnis der Bibel usf. Die Beschäftigung hat mich verändert, wie ich es auch in einem früheren Post erwähnt habe.
Mittlerweile sehe ich, dass Christsein eine ausserordentlich ganzheitliche Sache ist. Wir erleben die Realität des Glaubens in dem Masse, in dem wir uns auf den Weg Jesu und die Veränderung des Heiligen Geistes einlassen. Die Vorstellung, alles von Jesus zu sehen und zu haben, und gleichzeitig ungöttlich leben und glauben zu können, ist Unsinn. Ich weiss, das sind harte Worte, aber sie sind nichtsdestoweniger wahr. Der Galaterbrief knüpft das Erleben des Gottesreiches deutlich an ein Leben nach Gottes Maßstäben, dieses ist nach Römer 12,2 an eine Veränderung des Denkens (und Glaubens!) durch göttliche Wahrheit gebunden. Deswegen ist Gottes Antwort auf unsere Frage nach mehr von ihm und seinem Reich immer unsere Veränderung.

Dorian Grays Portrait ist nur ein blasses Abbild gegen Jesus, der wirklich unsere Sünden, Krankheit und alles, was suckt, getragen hat. Gray ist nur eine fiktive Gestalt ohne jede Wirkung, Jesus hat das wirklich getan. Aber der wichtigste Unterschied ist, dass Wilde seinen Gray unverändert lässt, während die reale Vergebung und Heilung uns immer mehr in das Abbild Jesu verwandelt.

[Originalpost]

Bild: © Michael Jurman | pixelio.de

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